Mit Sack und Pack durch den Wilden Westen der Republik
Knackende Äste und ein lautes Rascheln reißen uns mitten in der Nacht aus der wohligen Umarmung unserer Daunenschlafsäcke. „Ein Bär!“, schießt es mir schlaftrunken durch den Kopf, und ich robbe zum Ausgang des Leichtgewichtszeltes. Während ich vorsichtig den Reißverschluss öffne und ins Freie spähe, kommt glücklicherweise die rettende Erkenntnis: Halt, die gibt es hier doch gar nicht! Aber was war das dann?
Die Nacht ist mondhell und der Geruch des erloschenen Lagerfeuers liegt noch schwer in der Luft. Krüppelige Kiefern, Heidelbeerbüsche und Kastanien säumen die kleine Lichtung, an deren Rand sich alles in der Dunkelheit des Waldes verliert. Wieder ein Rascheln, diesmal von einem Grunzen begleitet. Erleichterung macht sich breit. Nur ein paar Wildschweine, die ihren Hunger an den schmackhaften Esskastanien stillen!
Beruhigt verkrieche ich mich wieder im Schlafsack, um nach den Anstrengungen des vergangenen Tages noch ein wenig Erholung zu finden. Gleich morgen geht es weiter, immer gen Süden. Vier weitere Trekkingtage, mehr als 60 km und viele Höhenmeter, liegen noch vor uns.



Was sich wie die Schilderung einer Trekking-Idylle inmitten der Wildnis Alaskas oder Kanadas anhört, lässt sich mitten in Deutschland erleben. Das von der UNESCO anerkannte Biosphärenreservat Naturpark Pfälzerwald stellt mit 1.771 km² das größte zusammenhängende Waldgebiet Deutschlands dar. Es erstreckt sich, nur eine halbe Stunde Fahrtzeit von den Industrieanlagen des pfälzischen Ludwigshafen entfernt, entlang der Rheinebene bis an die französische Grenze. Verbindet man mit der Pfalz doch landläufig hauptsächlich idyllische Weinorte, deftige Hausmannskost und Rieslingschorle aus Halblitergläsern, so kann man hier ein Abenteuer der ganz besonderen Art erleben: Trekking pur! Wild, wild West im Südwesten der Republik.
Möglich gemacht hat das der Verein Südliche Weinstrasse e.V., der in Kooperation mit den Forstämtern und Ortsgemeinden ab 2009 zunächst sieben Trekking-Camps mit Platz für jeweils bis zu sechs Zelten errichtete. Später kamen noch sieben weitere Plätze hinzu. Mittlerweile kann man sogar bis weit ins Nordpfälzer Bergland hinein durch die Natur streifen und ganz legal sein Zelt in der Tiefe des Waldes auf einem der Trekking-Plätze aufschlagen. Weit weg vom Trubel der Ortschaften breitet sich so zwischen Feuerstelle und Klohäuschen schnell eine gemütliche Lagerromantik aus.
Doch diese muss man sich erst hart erarbeiten: Schweißtreibend sind die oftmals steilen Anstiege, und selbst die leichteste Ausrüstung macht sich irgendwann unbequem im Rücken bemerkbar. So zum Beispiel gleich auf der ersten Etappe unserer Tour, die uns in ihrer gesamten Länge von Neustadt a.d.Weinstraße bis ins rund 60 Wanderkilometer entfernte Leinsweiler führen soll. Kaum dem vollen Zugabteil entronnen, erschweren rund 500 Höhenmeter auf 8 Kilometern Stecke den Weg zum ersten Gipfel, der 673 Meter hohen Kalmit. Unterwegs wechselt sich Laubwald mit ausgedehnten Kieferbeständen ab, die in Kombination mit dem sandigen Boden fast mediterranen Flair aufkommen lassen. Endlich oben angekommen, ist der fantastische Blick über die Rheinebene bis hin zu den Ausläufern des Schwarzwaldes Entschädigung genug, für die Anstrengung des Aufstieges. Von hier aus ist der nahegelegene Trekking-Platz schnell erreicht. Die genaue Lage erfährt nur, wer sich offiziell anmeldet und eine Erlaubnis erhält.




Für ein Trekkingabenteuer ist der Herbst vielleicht die beste Zeit. Reife Esskastanien ergänzen prima die dehydrierte Tütennahrung, und wer sich auskennt, findet unterwegs auch alle Zutaten für ein schmackhaftes Pilzragout. Außerdem sind die schwülheißen Tage des Sommers jetzt endlich vorbei und die zahlreichen Anstiege, Felsgipfel und Burgen entlang des Weges können bei gemäßigten Temperaturen erklommen werden.
Nach der unruhigen Nacht mit ihrem Wildschweinbesuch sind wir schon früh auf den Beinen und genießen die ersten Sonnenstrahlen bei einem dampfenden Kaffee. Unser heutiges Ziel liegt im Modenbacher Tal, und der Weg dorthin führt unter anderem durch das spektakuläre Felsenmeer, ein rund 700 Meter langes Blockfeld aus bis zu 10 Meter hohen Sandsteinfelsen. Mit der Aussicht auf dieses landschaftliche Highlight ist das überschaubare Lager schnell abgeschlagen und die Ausrüstung im Rucksack verstaut.
Wie im Flug vergehen die ersten vier Tage der Trekking-Tour. Schnell stellt sich altgewohnte Routine ein, die wir so gut von den vielen Trips nach Skandinavien oder Nordamerika kennen: Lager abschlagen, Rucksack packen, Wandern. Dann eine Pause und alles in umgekehrter Reihenfolge, bis abends wieder das Zelt steht und am Lagerfeuer Pläne für die nächste Tour geschmiedet werden. Hier im Pfälzerwald hat das alles aber eine gewisse Leichtigkeit, vielleicht weil die Zivilisation ja doch nie richtig weit weg ist . Alles kann, nichts muss und jeder kann sich die Natur hier nach eigenen Vorstellungen und Fähigkeiten erwandern.


Als wir am letzten Tag unserer Tour frühmorgens aus dem Zelt kriechen hängt der Nebel noch schwer und feucht in den Niederungen. Nachdem die letzten klammen Ausrüstungsgegenstände verstaut sind, schultern wir unsere Rucksäcke und nehmen die letzte Etappe in Angriff. Diese hat es noch einmal in sich: Knackige Anstiege in spektakulärer Umgebung führen zu den absoluten Highlights unserer Trekkingtour. Bei all den Felsmassiven aus rotgelbem Sandstein könnte man sich bisweilen fast im amerikanischen Utah wähnen, wären da nicht die vielen Bäume. Höhepunkt des Tages ist ganz gewiss die Besteigung des 533 Meter hohen Föhrlenberges. Der pfälzische Indian Summer zeigt sich hier in seiner ganzen herbstlichen Pracht. Hügel reiht sich an Hügel, fast endlos scheint die Weite. Wo kein Felsturm das Auge des Betrachters zum Verweilen einlädt, da ist es eine Ruine, die von der bewegten Vergangenheit dieser Region unweit der französischen Grenze erzählt. So zum Beispiel der Trifels, die Festung der Salier und Staufer. Er war im Mittelalter Hochsicherheitsgefängnis für wichtige Gefangene wie den englischen König Richard Löwenherz, der jedoch nur wenige Wochen in der Burg einsaß. Fast 1000 Jahre ist es her, dass die Festungsanlage erstmalig in einer Urkunde erwähnt wird.
Vom Föhrlenberg geht es dann stetig abwärts, immer der Rheinebene entgegen. Die buntgefärbten Rebstöcke reichen hier bis an den Wald heran. Eben noch tief im Wald unter mächtigen Kastanien öffnet sich die Landschaft und gibt den Blick frei auf betriebsame Weinorte, Straßen und ferne Industriekomplexe. Die Zivilisation hat uns zurück.
Wir haben vieles entdeckt und gefunden auf dieser Trekkingtour: Fantastische Einblicke und Ausblicke, Einsamkeit und wunde Füße, bewegte Geschichte und Lagerromantik. Nur eines ist uns leider entwischt: Die sagenumwobene Elwetritsch, ein vogelähnliches Fabelwesen, dass hier angeblich hausen soll, haben wir nicht zu Gesicht bekommen.
Aber vielleicht gelingt uns das ja beim nächsten Mal. Denn eins ist klar, wie wir uns versichern, während wir die ersten Häuser des verschlafenen Leinsweiler erreichen: Wir kommen wieder!


